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  • Dr. K. Herzberg an seinem Schreibtisch

    Dr. Kurt Herzberg, Bürgerbeauftragter des Freistaats Thüringen

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  • Herzberg übergibt Jahresbericht an die Landtagspräsidentin

    „Augenhöhe trotz Krisenmodus“ Bürgerbeauftragter übergibt Tätigkeitsbericht an die Präsidentin des Thüringer Landtags

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    Fall des Monats: „Wo Rauch ist, ist auch Feuer.“ – Von wegen …..

    Foto: Gabi Schoenemann/pixelio.de
  • Bürgerbeauftragtengesetz

    Umweltrelevante Großprojekte – viele Unsicherheiten und hoher Aufklärungsbedarf

    Foto: Der Bürgerbeauftragte des Freistaats Thüringen
  • Stempelabdruck mit Word

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    Foto: Claudia Hautumm/pixelio.de
  • Herzberg im Gespräch mit einer Besucherin

    Der Bürgerbeauftragte auf der Thüringenausstellung 2024

    Foto: Thüringer Bürgerbeauftragter
  • Der Bürgerbeauftragte im Gespräch

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Erläuterung des Pilotprojekts „Mündliche Erörterung im Widerspruchsverfahren“

Ausgehend von den Erfahrungen zahlreicher Bürger im Umgang mit Verwaltungsbehörden hat der Bürgerbeauftragte des Freistaats Thüringen die Konzeption eines Pilotprojekts erarbeitet, das aus seiner Sicht einen Beitrag zu einem bürgerfreundlicheren und dialogischeren Umgang mit Kritik an Verwaltungsentscheidungen leisten kann.

Die Erarbeitung des Pilotprojekts erfolgte in enger Abstimmung mit dem Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales, dem Thüringer Landesverwaltungsamt sowie Vertretern der Landkreise. Im Rahmen des Pilotprojektes werden die rechtlichen Möglichkeiten, die das Bürgerbeauftragtengesetz vorsieht, in den Ablauf des Widerspruchsverfahrens gem. §§ 68 ff. VwGO integriert.

Das Pilotprojekt ist zeitlich und räumlich beschränkt. Es startet am 1. Mai 2018 im Kyffhäuserkreis sowie im Landkreis Sömmerda. Daneben erfolgt eine wissenschaftliche Begleitung durch die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie eine abschließende gemeinsame Evaluierung.

Das Pilotprojekt soll Aufschluss darüber geben, inwieweit das Angebot einer mündlichen Erörterung im Widerspruchsverfahren dazu beiträgt, dass (1) die anschließende Widerspruchsbearbeitung entbehrlich wird, (2) die Akzeptanz der Bürger für die Behördenentscheidung messbar wächst und (3) ob die unabhängige Prüfung und das vermittelnde Gespräch auch in der Gesamtkostenbetrachtung eine ernst zu nehmende, alternative Form der Konfliktbearbeitung im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren sein kann.

Zum Ausgangpunkt: Gegen einen behördlichen Bescheid kann der Empfänger binnen eines Monats Widerspruch einlegen. Hierauf prüft die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ob die gegen den Bescheid geltend gemachten Einwände des Bürgers zutreffen. Wenn ja, hilft die Behörde dem Widerspruch ganz oder teilweise ab. Falls nein, teilt die Behörde dies dem Widerspruchsführer am Ende jener sog. Abhilfeprüfung mit und weist ihn darauf hin, dass er die Aufrechterhaltung seines Widerspruchs überdenken möge, da bei einem Unterliegen im Widerspruchsverfahren für ihn Kosten entstehen könnten. Statt von der Ausgangsbehörde am Ende der Abhilfeprüfung wird der Bürger manchmal auch von der Behörde, die letztlich über den Widerspruch zu entscheiden hat (= Widerspruchsbehörde, i. d. R. die Kommunalaufsicht beim Landratsamt), auf das Kostenrisiko aufmerksam gemacht.

Der Hinweis auf die Kosten bei einem Unterliegen ist zwar ein gut gemeinter Hinweis der Behörde, damit der Bürger nicht ohne jede Aussicht auf Erfolg ein Widerspruchsverfahren bis zum Erlass des kostenpflichtigen Widerspruchbescheids fortführt. Er wird vom Bürger aber häufig als regelrechte ‚Drohung‘ oder gar als ‚Erpressung“ empfunden, weshalb der Widerspruchsführer seinen Widerspruch nicht selten „mit der Faust in der Tasche“, zurücknimmt. Bei ihm verbleiben die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und eine erhebliche Frustration.

An dieser Stelle setzt das Pilotprojekt des Thüringer Bürgerbeauftragten an: Es hat zum Ziel, Bürgern, die gegen einen Verwaltungsakt Widerspruch eingelegt haben, nach erfolgloser Abhilfeprüfung durch die Ausgangsbehörde, aber vor Beginn der Widerspruchsbearbeitung durch die Widerspruchsbehörde ein durch den Bürgerbeauftragten moderiertes Gespräch mit der/den beteiligten Behörde/-n anzubieten. In diesem mediierenden Gespräch können die rechtlichen Grundlagen und Erwägungen für das behördliche Handeln kommuniziert, evtl. bestehende Missverständnisse aufgeklärt und im günstigsten Fall einvernehmliche Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Durch diese dialogisch angelegte Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie die gemeinsame Lösungssuche können die Widerspruchsbearbeitung und weitergehend ggf. auch der Erlass eines Widerspruchsbescheids entbehrlich werden. Die mündliche Erörterung schließt mit einer Würdigung des Sachverhalts (und ggf. einem Vermittlungsvorschlag) durch den Bürgerbeauftragten.

Was hat den Bürgerbeauftragten zu dem Pilotprojekt bewogen?

Eine repräsentative Umfrage aus dem Jahre 2008 förderte zutage, dass 86 Prozent (!) der Bevölkerung Schwierigkeiten damit haben, amtliche Schreiben zu verstehen.[i] Befragt nach ihrem Vertrauen in staatliche Institutionen, bekundeten Ende 2015 gerade einmal 51 Prozent der westdeutschen und sogar nur 36 Prozent (!) der ostdeutschen Bevölkerung, Vertrauen in die Verwaltung zu haben.[ii] Staatliche Verwaltung und Bürger haben ganz offenbar zwei ernste Probleme miteinander: Ein Kommunikationsproblem, weil ihre Verständigung an einer objektiven Asymmetrie auf den Ebenen des Wissens, der Macht und der Sprache leidet[iii], und in der Folge ein Entfremdungsproblem. Folge ist u. a. die reflexhafte Inanspruchnahme von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln.

Gleichzeitig gehört es zu den häufigen Erfahrungen des Bürgerbeauftragten, dass sich Bürger im Widerspruchsverfahren missverstanden, ja sogar erpresst fühlen, wenn ihnen die Widerspruchsbehörde mitteilt, dass Verwaltungsgebühren anfallen, wenn der Widerspruch ohne Erfolg in der Sache bearbeitet wird. Nicht selten resignieren die Bürger an dieser Stelle und ziehen ihren Widerspruch zurück, ohne eine Akzeptanz der Ausgangsentscheidung zu entwickeln. Im Gegenteil: Sie erleben sich verunsichert und der bürokratischen (Über-)Macht der Behörde (hilflos) ausgeliefert.

Diese negative Wahrnehmung staatlichen Handelns könnte deutlich gemindert werden. Gleichzeitig könnten nicht wenige bei der Bearbeitung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln nötigen Ressourcen geschont werden, wenn in einem frühen Stadium des Konflikts Bürger-Staat in eine ergebnisorientierte Kommunikation eingetreten würde, die in einer von allen in gleicher Weise gesprochenen und verstandenen Sprache geführt wird.[iv]

Vor diesem Hintergrund kann eine vom Bürgerbeauftragten moderierte Widerspruchserörterung erklärend, evtl. Missverständnisse aufklärend, deeskalierend und zugleich im Blick auf das weitere Verfahren ressourcensparend wirken. Auch angesichts der beiden zentralen Handlungsfelder des Bürgerbeauftragten – der Kommunikation und dem Konfliktmanagement im Staat-Bürger-Verhältnis – liegt die fakultative Einbindung des Bürgerbeauftragten in das Widerspruchs- (oder auch: Vor-)verfahren nahe[v] (siehe hierzu S. 131f. dieses Berichts).

Dieses Verfahren dient nach ganz einhelliger Auffassung den drei ineinandergreifenden Zielen des Rechtsschutzes des Bürgers, der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Verwaltungsgerichte. Und obgleich dies bedauerlicherweise nicht im Fokus der Aufmerksamkeit steht, kann das Verfahren selbstverständlich auch den Rahmen bilden für die Suche nach einer gütlichen Einigung[vi], in deren Vorfeld die Widerspruchsbehörde z. B. im Wege eines Ortstermins eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts vornehmen, ggf. einen Termin mit allen Beteiligten durchführen und sich, wenn möglich, um eine Mediatisierung der unterschiedlichen Standpunkte bemühen kann[vii]. Dies gilt gerade angesichts des gegenwärtigen Paradigmenwechsels im Handlungsformensystem der Verwaltung, der vom klassischen einseitig-hierarchischen Handeln weg- und zum kooperativ-konsensualen Handeln, das sowohl Bürger als auch Verwaltung in der Verantwortung für die eigene Lösung ihrer Konflikte stärkt, hinführt.

Andernorts wirken in diese Richtung die rheinland-pfälzischen und saarländischen Stadt- bzw. Kreisrechtsausschüsse sowie die Anhörungsausschüsse in Hessen, wo der Landesgesetzgeber in den §§ 7 Abs. 1 und 12 Abs. 1 HessAGVwGO ausdrücklich vorgeschrieben hat, dass vor der Entscheidung über Widersprüche gegen Verwaltungsakte des Kreisausschusses, des Gemeindevorstands, des Bürgermeisters, des Landrats und des Landrats als Behörde der Landesverwaltung der Widerspruchsführer mündlich zu hören, die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten zu erörtern und auf eine gütliche Erledigung des Widerspruchs hinzuwirken ist. Die Arbeit dieser Ausschüsse wird im juristischen Schrifttum sehr positiv bewertet: Die Einbeziehung des Widerspruchsführers in diesem (frühen) Stadium des Verfahrens führe zu einer erhöhten Akzeptanz der Entscheidung, weil diese mündlich sehr viel besser nachvollziehbar gemacht werden könne als auf schriftlichem Weg, und im gemeinsamen Gespräch ließen sich einvernehmliche Lösungen entwickeln, zumal die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte des Falles umfassender und deutlicher dargestellt werden könnten.[viii] Sie ende zwar unter Umständen mit einer Zurücknahme des Widerspruchs, ziehe aber in der Sache häufig eine Regelung nach sich, die den in der mündlichen Verhandlung deutlich gewordenen Anliegen des Widerspruchsführers Rechnung trage.[ix] Deshalb stellten sie „ein interessantes und für die anderen Bundesländer erwägenswertes Modell dar, dessen Vorteile (…) auf der Hand liegen.“[x]

Denn: „Der ‚Dialog‘ zwischen Bürger und Verwaltung, der auch dem grundgesetzlichen Verständnis der Stellung des Bürgers im Staat entspricht, bietet – grundsätzlich – in besonderem Maße die Gewähr, bestehende Unklarheiten und Differenzen auszuräumen und die jeweilige Sicht der Dinge in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu verdeutlichen und verständlich zu machen. Er ist Verwaltungskultur, die das Bild des Bürgers vom ‚Staat‘ entscheidend mitprägt und dazu beiträgt, die Atmosphäre im Einzelfall, aber auch im Gesamten zu verbessern. Um diesen Dialog auch wirklich zu führen, ist (oft) die Hilfe des unparteilichen Dritten erforderlich. Er ermöglicht es – anders als bei einem ‚reinen‘ Dialog – den gestörten Interaktions- und Kommunikationsstrukturen zwischen den involvierten Akteuren konstruktiv begegnen zu können.“[xi]

Vor diesem Hintergrund wird zunehmend gefordert, das verwaltungsprozessuale Widerspruchsverfahren als effektives Konfliktlösungsverfahren auszugestalten und deshalb das Widerspruchsverfahren in ein obligatorisches mediatives Vorverfahren für die Verwaltungsgerichtsbarkeit umzugestalten[xii] oder aber wenigstens mediative Elemente in das Widerspruchsverfahren zu integrieren[xiii]. Diese Erwägungen will das Pilotprojekt aufnehmen und für Thüringen nutzbar machen.

Da der Bürgerbeauftragte im Ergebnis der Erörterung, die zwischen der Abhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde und dem Beginn der Widerspruchsbearbeitung durch die Widerspruchsbehörde verortet ist, lediglich eine Würdigung der Sach- und Rechtslage formuliert, werden an keiner Stelle Rechte oder Möglichkeiten verkürzt, sondern lediglich Optionen mit der Chance einer einvernehmlichen Klärung vermehrt.

In Ansehung der Erfahrungen in anderen Bundesländern, in denen dialogische Elemente in das Widerspruchsverfahren integriert sind, kann vermehrt mit einer gütlichen Erledigung der Verfahren gerechnet werden. Es wäre ein großer Gewinn, die Wirksamkeit dialogischer Elemente an ausgewählten Modellstandorten im Kontext konkreter Thüringer Verwaltungsabläufe empirisch überprüfen zu können. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die Überlegungen hinsichtlich der geplanten Funktional- und Verwaltungsreform in Thüringen. 

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[i] Bevölkerungsrepräsentative, vom Institut für Demoskopie Allensbach im November/Dezember 2008 für die ‚Gesellschaft für Deutsche Sprache’ durchgeführte Umfrage „Wie denken die Deutschen über die Rechts- und Verwaltungssprache?“

[ii] ROLAND Rechtsschutz-Versicherungs-AG, Rechtsreport 2016, S. 17.

[iii] Werner Hauck/Clemens Locher/Andreas Lötscher/Markus Nussbaumer/Alfred Zangger: Kommunikation zwischen dem Staat und den Bürgerinnen und Bürgern – linguistische Beiträge zu ihrer Optimierung, in: bulletin vals-asla, Bulletin suisse de linguistique appliquée, No 83, 2006.

[iv] Vgl. Harald Walther, Ist die Gerichtssprache wirklich deutsch?, in: Rudolf Fisch/Burkhard Margies (Hrsg.), Bessere Verwaltungssprache. Grundlagen, Empirie, Handlungsmöglichkeiten, 99 (108).

[v] Anne Debus, Die Bürgerbeauftragten der Bundesländer. Im Dienst von Bürgern, Parlamenten und Verwaltung, DÖV 2017, 810 (819 f.)

[vi] Christian Kirchberg/Dirk Herrmann, Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, in: Michael Quaas/Rüdiger Zuck (Hrsg.), Prozesse in Verwaltungssachen, 2. A. 2011, § 2, Rn 397 m. w. Nw.

[vii] Kirchberg/Herrmann, ebd., RN 339 a.E.

[viii] Annette Guckelberger/Silvia Heimpel, Das Widerspruchsverfahren und seine Besonderheiten im Saarland, LKRZ 7/2009, 246 (249)

[ix] Erich Röper, Rechtsausschüsse zur Entlastung der Verwaltungsgerichte, DÖV 1978, 312 (315), der im Gesamtzusammenhang auch auf die rechtspolitisch hoch zu veranschlagende Befriedungsfunktion der Tätigkeit von derlei Widerspruchsstellen Bezug nimmt.

[x] Friedhelm Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2016, § 8, Rn 19.

[xi] Stefan Vetter, Mediation und Vorverfahren – Ein Beitrag zur Reform des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, S. 166 m. Nw.

[xii] Stefan Vetter, a.a.O.

[xiii] Daniel Rapp, Mediation im Verwaltungsrecht – Möglichkeiten der Integration mediativer Elemente in das Widerspruchsverfahren, 2004

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